Rund um Echternach:

Sagen, Märchen, Legenden und Geschichten

(Quelle: http://www.zeno.org - Zenodot Verlagsgesellschaft mbH)


Der Geiger von Echternach


Zu den Zeiten des hl. Willibrord war ein Jüngling aus Echternach, namens Veit, seiner außerordentlichen Größe wegen der lange Veit genannt, der kürzlich zum Christentum übergetreten war, mit seiner jungen Frau, die ebenfalls Christin geworden war, nach dem hl. Lande gepilgert. Schon waren zehn Jahre seit ihrer Abreise verflossen und da keinerlei Kunde von ihnen nach Echternach gelangte, so teilten die Anverwandten, in der Meinung, sie seien gestorben, alle ihre Güter unter sich. Groß war also ihr Staunen, als am Ostertag des Jahres 729 der lange Veit plötzlich in Echternach wieder auftauchte. Aber auf seinem sonst so heiteren Gesicht hatte sich Trauer gelagert; denn seine teure Begleiterin war von den Sarazenen gemordet worden. Arm kehrte er zurück und besaß nichts als ein seltsames, allen unbekanntes Instrument, eine Art Geige.

Als Veit seine Güter zurückforderte, beschlossen seine Anverwandten, ihn anzuklagen, er habe seine Frau ermordet. Tags darauf traten sie offen mit ihrer Anklage auf und drei der kräftigsten von ihnen erboten sich, nach der Sitte der damaligen Zeit, durch Zweikampf die Richtigkeit ihrer Aussage zu erhärten. Am Pfingstmontag fand der Zweikampf statt; schon beim ersten Gange ward Veit zu Boden geworfen und, des Gegners Fuß auf der Gurgel, mußte er sich für besiegt erklären. So wurde er denn des Mordes schuldig befunden und verurteilt, am folgenden Tage gehängt zu werden.

Veit erbat sich als letzte Gnade, auf seinem Todesgang seine Geige mitnehmen zu dürfen, und schon stand er auf der Leiter, am Fuß des Hügels, wo heute die Pfarrkirche sich erhebt. Der Galgen war umdrängt von zahlreichen Zuschauern. Da erfaßte Veit den Fiedelbogen und entlockte seiner Geige so helle Töne, daß die Menge erstaunt und tief erschüttert aufhorchte. Auf die Klagetöne erklang es aus dem wunderbaren Instrument wie Schluchzen und Tränen, bei denen die Menge wie außer sich geriet, die Hände rang und irre Blicke warf. Der Henker, der oben auf der Leiter stand, wankte, ließ das verhängnisvolle Seil fallen und mußte, da er sich nicht mehr oben zu halten vermochte, verwirrt herabsteigen.

Indessen spielte Veit immerfort; unter seinem leicht und rasch dahingleitenden Fiedelbogen schienen Funken hervorzusprühen, und die wie angewurzelt horchende Menge umher war ganz unter dem Einfluß des gewaltigen Geigers, der plötzlich mildere, himmlische Akkorde hervorzauberte: es war ein Gebet, das aus dem verzauberten Instrument zum Himmel emporstieg. Die Zuschauer lagen auf den Knieen, Veits Lippen bewegten sich, er betete, aus seinen großen, blauen, zum Himmel erhobenen Augen flossen Tränen. Und Gott erhörte des armen Geigers Gebet, wandte sein Antlitz ab von der verbrecherischen Menge und gab ihm seine Ankläger preis. Da plötzlich, von wilder Begeisterung ergriffen, raste Veit mit dem Fiedelbogen über sein Instrument und hüpfende, hinreißende Töne erklangen bezaubernd weithin. Wie von unsichtbarer Hand emporgehoben, stand alles Volk aufrecht und begann sich im Tanze zu bewegen, anfangs ruhig und gemessen, dann aber immer schneller und schneller, bis sich zuletzt alles in rasendem Tanze drehte. Männer und Frauen, Greise und Mädchen, Väter und Kinder, alles tanzte. Veits Verwandte und mit ihnen die Richter tanzten um die Leiter, der Henker tanzte unter dem Galgen. Die von den Weideplätzen heimeilenden Haustiere begannen ebenfalls zu tanzen. Alles, was in und um Echternach lebte, ward von der Tanzwut ergriffen.

Da stieg, immer fiedelnd, der Geiger von der Leiter herab, schritt durch die Menge, die unvermögend war, ihn festzuhalten, und entfernte sich langsam. Noch hörte man eine Zeitlang die Töne der Zaubergeige aus der Ferne erklingen, Veit aber war verschwunden und nie mehr hat man ihn in der Gegend wiedergesehen.

Ganz Echternach tanzte bis zum Sonnenuntergang; die achtzehn Verwandten Veits aber tanzten, so lautet die Sage, unablässig ein Jahr lang um die Leiter. Schon waren sie bis an die Knie in die Erde hineingetanzt, als der hl. Willibrord zu Utrecht davon Kunde erhielt, schnell herbeieilte und sie vom Zaubertanz befreite.

Nach J. Collin de Plancy, abgedruckt in der Luxemburger Zeitung, 1858, Nr. 121
Quelle: Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 371-372.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20007870051
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