Rund um Echternach:

Sagen, Märchen, Legenden und Geschichten

(Quelle: http://www.zeno.org - Zenodot Verlagsgesellschaft mbH)


Der dreibeinige Hase zu Echternach


Version A: Ein Soldat war vom Abt des Echternacher Klosters, als dem Hochgerichtsherrn, wegen eines schweren Vergehens verurteilt worden, bei dem Kreuz jenseits der Brücke enthauptet zu werden. Der Verurteilte hörte jedoch nicht auf zu beteuern, er sei unschuldig. Als man ihn dennoch zum Tode führte, sagte er, daran werde man erkennen, daß er unschuldig sei, wenn er nach seinem Tode als dreibeiniger Hase fortleben werde. Und in der Tat, kaum war er enthauptet, als ein dreibeiniger Hase vom Richtplatze weglief.

Derselbe wird sehr oft gesehen, namentlich auf der Brücke. Er läßt sich nicht ungestraft necken. Als jemand ihn mit einem Knüttel schlagen wollte, bekam er von unsichtbarer Hand gottsjämmerliche Prügel.

Einige Soldaten, die an der Sauerbrücke auf der Wacht waren, hatten zusammengelegt, um ein Gelage zu halten. Sie saßen noch nicht lange beim Schmaus, als sie einen dreibeinigen Hasen in ihrer Mitte gewahrten. »Da du nicht bezahlt hast, so sollst du auch nicht mitmachen,« sagten die Soldaten und wollten ihn fortprügeln. Allein in diesem Augenblick regnete es Schläge auf sie herab, daß ihnen Sehen und Hören vergehen wollte.

Der dreibeinige Hase von Echternach erscheint auf seiner mitternächtlichen Runde zuweilen auch an dem Tore des alten spanischen Freistockes von Steinheim, der einst zu den Besitzungen des Klosters von Echternach gehörte. Auch soll er an dem zwischen Godendorf und Ralingen fließenden Eselsbur sowie auch in der am Fuße des Girsterberges gelegenen »Domb« gesehen worden sein.


Version B: Einst schickte der Benediktinerabt von Echternach einen Novizenbruder, dessen Mut er erproben wollte, in finstrer Nacht nach der Ernzer Klause, um dem dort lebenden Einsiedler einen Besuch abzustatten, und gebot ihm, zum Beweise, daß er den Auftrag ausgeführt habe, einen Gegenstand aus dem Kläuschen mitzubringen. Der Mönch gehorchte, legte den unheimlichen Weg zur Grotte zurück und trat ein; der Einsiedler aber war abwesend. Nachdem er eine Zeitlang vergeblich auf dessen Rückkehr gewartet hatte, gedachte er, den Rückweg anzutreten, und sah sich nach einem Gegenstand um, den er dem Abte überreichen könnte. Da gewahrte er einen jungen Hasen, ein zahmes Tierlein, das dem Einsiedler ein lieber Gesellschafter geworden war. Rasch erfaßte er diesen und schnitt ihm die linke Hinterpfote ab, womit er nach der Abtei zurückkehrte.

Der Eremit war untröstlich, als er bei seiner Rückkehr das verstümmelte Tierchen vorfand. Er gebot demselben, hinauszueilen und seine Pfote zurückzufordern. Dieses steigt hinunter, umhinkt das Kloster, kehrt aber, da alle Tore verschlossen waren, zur Einsiedelei zurück.

Seit dieser Zeit macht alljährlich um dieselbe Stunde der dreibeinige Hase oder vielmehr dessen Schatten den Weg von der Klause zum Kloster und wieder zurück zum Ernzer Berge. Alte Leute versichern, ihm gegen Mitternacht auf der Brücke begegnet zu sein.

L'Evêque de la Basse Moûturie, 241
Quelle: Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 223-225.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20007867026
Lizenz: Gemeinfrei
Top of page
zurück
weiter
ZURÜCK:

Der Geiger
von Echternach
 
WEITER:

Mysteriöse
Frauen
english
Similar versions
of this legend
(in English)